27.03.2023
„Krieg heißt schießen oder erschossen werden“ Hermann Rauch erzählt als Zeitzeuge von Kriegserlebnissen in der St. Elisabeth – Tagespflege
Von Walter Schmid
Isny. Für den 96 jährigen Hermann Rauch sind seine
Kriegserfahrungen auch nach 80 Jahren noch präsent und treiben ihm, wenn er
davon erzählt, immer noch Tränen in die Augen. Der Senior ist noch gut zu Fuß
und darf sich im hohen Alter über einen klaren Kopf und ein perfektes Erinnerungsvermögen
freuen. Nachdem seine Frau, nach 72-jähriger Ehe, erst im vergangenen Jahr
verstarb, wird er von der Tochter zuhause in Kleinweiler-Hofen gut versorgt. Zu
deren Entlastung verbringt Hermann Rauch einen Tag der Woche in der Tagespflege
im Altenhilfezentrum AHZ – St. Elisabeth in Isny. Er wird morgens um 8.00 Uhr
vom ehrenamtlichen Mitarbeiter Hubert Halder abgeholt und nachmittags gegen
16.30 wieder zuhause abgeliefert. Hier werde man ganz behutsam eingewöhnt, zu
nichts gezwungen, so seine Erfahrung in der Tagespflege. Man könne die Angebote
annehmen, muss es aber nicht. Das Essen sei auch ganz akzeptabel.
Sehr gerne erzählt Hermann Rauch von seinen Erfahrungen als
17 jähriger Soldat – zumal der 15 jährige Gymnasiast Daniel Topic zur Zeit sein
Sozial-Praktikum in der Tagespflege absolviert – und besonders neugierig seine
Ohren spitzt.
Hermann Rauch hat nach der Schule bei seinem Vater, dem
Dorfschuhmacher, eine Lehre gemacht. Im
Mai 1943 sei er als 17 jähriger in ein Arbeitsdienstlager nach Vorarlberg
eingezogen worden zu einer vormilitärischen Schnellausbildung, vor allem zur
körperlichen Ertüchtigung, so sein Eindruck damals. „Alliierte Bomber hatten
zwar das Montafon-Kraftwerk im Visier, trafen jedoch Wohnhäuser, ein
Krankenhaus und eine Hochschule. Sie seien als junge unerfahrene Burschen
dorthin beordert worden um Leichen und Verwundete aus den Trümmern heraus zu
ziehen, um Schutt abzutragen und Dächer wieder notdürftig zu flicken. Dort sei
er ganz zufällig einer Schulkameradin begegnet, die dort studierte und die
Angriffe verwundet überlebt hatte.
Ab Dezember 1943 sei er den Gebirgsjägern in Garmisch
zugewiesen worden um dort das Schießen zu lernen für den Partisanenkampf in den
französischen Alpen in der Montblanc Region. Es ging im mit jungen Soldaten
vollgestopften Zug durch ein enges Tal bergauf. Links und rechts Felsen,
dazwischen das Bahngleis, ein Weg und ein Gebirgsbach. Die Partisanen hatten
das Gleis gesprengt und wir saßen in der Mausefalle. Die Partisanen feuerten
von den Felsen herunter auf alles was sich bewegte – und wir schossen zurück.
Stundenlang habe es keine andere Möglichkeit mehr gegeben: „schießen oder
erschossen werden. Das ist der Krieg.“ Er habe einen Oberschenkeldurchschuss
erlitten und habe sich 30 Kilometer zu Fuß bis St. Moritz gequält. Dort habe er
die total überfüllten Hotels als Kriegslazarette angetroffen, gefüllt mit
unübersehbaren Massen von bereits verwundeten Soldaten. Er habe sich in einem
Flur auf dem Boden dazugelegt – medizinische Versorgung gab’s für niemand. „Wir
sollten ja verrecken.“ Diese Bilder von damals lassen ihm bis heute keine Ruhe.
Und zwischendurch schweifen seine Gedanken ab zu den Soldaten in der Ukraine
und deren Martyrium. „Ich weiß wie es denen geht.“
Im August 1944 sei er in Partisanen-Gefangenschaft geraten
und ausgehungert worden zum Skelett und das Bein schwarz von einer
Gasbrand-Infektion. Nach Lagerauflösung sei er, immer noch front-tauglich,
„schießen kann er ja noch“, an die Front nach Norditalien geschickt worden an
den Gardasee, dort aber in englische Gefangenschaft geraten, bis Oktober 1945.
Als der Krieg längst zu Ende war, seien immer noch Truppenverbände an
Frontlinien nach Süditalien verschickt worden. Man habe offensichtlich dort gar
nicht kapiert, dass der Krieg Gott sei dank verloren und zu Ende war. Er selber
sei mit seinem schwarzen Bein einem Transport Richtung Bayern ins
Entlassungslager Bad Aibling geschickt worden. „Ich hatte bis dahin einen
Schutzengel bei mir – wahrscheinlich waren es mehrere von der Sorte.“ Sein Bein
habe noch weitere 70 Jahre durchgehalten und musste dann, als Spätfolge der
Kriegsverletzung amputiert werden. Nach der Heimkehr damals habe er noch wenige
Jahre mit seinem Vater in der Schuhmacherei gearbeitet. Mit Beginn des
zunehmende Wohlstandes brachten die Leute ihre Schuhe nicht mehr zur Reparatur,
sondern kauften sich neue. Er habe dann einige Jahre auf dem Bau gearbeitet und
anschließend noch bis zur Rente über 30 Jahre in der Spulenfabrik Emil Adolf in
Kleinweiler.
Nach gut einer Stunde Kriegsbericht ist der betagte Senior
müde – und der 15 jährige Daniel Topic scheint so beeindruckt, dass es ihm die
Sprache verschlagen hat.